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    tech insights

    Passive Sicherheit und Individualisierung durch additive Fertigung

    EDAG hat am Beispiel einer durchsichtigen A-Säule und eines Motorradlenkers mit strukturintegrierten Leitungen erforscht, wie die passive Sicherheit gesteigert und Individualisierung sowie größere Freiheiten in der Bauteilgestaltung mithilfe Additiver Fertigung realisiert werden können.

    Additive Fertigungsverfahren gewinnen in der Industrie zunehmend an Bedeutung. Zunächst standen Rapid Prototyping, das kürzere Entwicklungszeiträume bei steigenden Qualitätsansprüche ermöglicht, sowie die Produktion von unkonventionellen Geometrien und Strukturen mittels 3D-Druck im Mittelpunkt, beispielsweise um besonders leichte Bauteile mit großer Tragkraft zu erzeugen oder Formen aus einem Stück, die bislang aus mehreren Teilen gefügt werden mussten. Inzwischen haben sich weitere Verfahren etabliert, mit denen sich größere Strukturen erzeugen lassen und verschiedene Grundstoffe genutzt werden können, teils auch kombiniert. 

    Eine höchst interessante Variante der additiven Fertigung stellt die DED-Technologie (Directed Energy Deposition, „gerichtete Energieabscheidung“) dar, da sie vielfältige Möglichkeiten bietet. Damit lassen sich sowohl Metalle und Legierungen als auch Keramiken und Polymere verarbeiten, als Ausgangsbasis kommen sowohl Metalldrähte als auch Pulversubstrate in Betracht. Daher eignet sich das DED-Verfahren insbesondere für Projekte zur Kombination verschiedener Werkstoffe und Realisierung großformatiger Bauteile. 

    Multi-funktionale Demonstratoren 

    Im Rahmen der Forschungsinitiative MULTI-FUN finanzierte die EU die Entwicklung innovativer Lösungen von mehrfachfunktionalen Produkten (MULTI-FUNctional) auf Basis neuartiger aktiver Werkstoffkombinationen (Multi-Materials) unter Nutzung von DED-Arc (Lichtbogenbasierter DED-Prozess, auch bekannt als WAAM: Wire Arc Additive Manufacturing).. EDAG beteiligte sich daran mit zwei Demonstratoren, um das Potenzial von Multi-Material-Konzepten der additiven Fertigung für eine bessere Funktionsintegration bei Fahrzeugkomponenten zu zeigen. 

    Die durchsichtige A-Säule ist ein revolutionärer Ansatz, der ein seit langem bestehendes Sicherheitsproblem löst: tote Winkel, die durch voluminöse A-Säulen entstehen. Das Ergebnis ist eine bessere Sicht des Fahrers auf die Straße, was wiederum die passive Sicherheit in Kurven, Kreisverkehren, bei querenden Passanten und Radfahrenden und in Kreuzungsbereichen verbessert. 

    Der funktionelle Motorradlenker stellt eine Entwicklung dar, die dem Bedürfnis nach besserem Design und mehr Individualisierung bei Motorrädern entgegenkommt. Er ermöglicht die Integration der elektrischen Verkabelung, zum Beispiel für Licht, Blinker und Anlasser, sowie hydraulischen Leitungen für Bremse und Kupplung in die Struktur des Lenkers, wodurch die Notwendigkeit von sichtbaren Kabeln und Schläuchen um den Lenker herum entfällt. 

    Durchsichtige A-Säule mit CAN-Bus-Integration 

    Gemeinsam mit LORTEK, einem Technologie- und Forschungszentrum der spanischen Mondragon-Vereinigung, wurden umfangreiche Untersuchungen durchgeführt, um Designrichtlinien für die DED-Fertigung unter Verwendung von Draht und Lichtbogen (DED-Arc) zu entwickeln. So mussten Wege gefunden werden, bestimmte Vorgaben einzuhalten. Beispielsweise soll die minimale Wandstärke 2,5 mm betragen, es dürfen jedoch keine Wanddickenschwankungen auftreten. Weitere Anforderungen waren unter anderem Robustheit bei T- oder L-Stößen, flache Kanten statt spitzer Enden und Auskragungswinkel bis zu 50°. 

    Es zeigte sich, dass das durchgängige Erreichen der gewünschten Wanddicke von 2,5 mm mit DED-Arc und 1 mm Stahlschweißdraht noch eine Herausforderung darstellt. Ob diese Dicke erreicht werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab, unter anderem von den verwendeten Geräten und Werkstoffen. Im Rahmen des Projektes entwickelten EDAG und LORTEK ein neues Spannwerkzeug für das DED-Arc-Verfahren, mit dem ein doppelseitiger Druck auf einer Bauplatte zur direkten Verwendung dieser Bauplatte im Bauteil realisiert werden kann. 

    Daneben galt es, bei der Gestaltung der A-Säule den Zielkonflikt zwischen maximaler Sicht und Crashsicherheit zu lösen. Dies erforderte umfangreiche Iterationen und Crashsimulationen der gitterförmigen Konstruktion. Mithilfe der Software Synera wurde ein automatisierter Konstruktionsansatz implementiert, der rippenartige Strukturen für die Crashtauglichkeit optimiert, den manuellen Aufwand reduziert und die Konstruktionsrichtlinien bei jedem Konstruktionsschritt und jeder Iteration einhält. 

    Als zusätzliche Funktion wurden in die A-Säule elektrische Leitungen integriert, um Daten auf einem CAN-Bus (Controller Area Network) zu übertragen. In einer ersten Variante wurde ein Kabel in eine Nut eingelegt, fixiert und per APPD-Verfahren (Atmospheric Plasma Powder Deposition) mit Zink beschichtet, um eine monolithische Struktur zu erhalten. Alternativ untersuchten die Projektpartner die Möglichkeit, CAN-fähige Leiter mit dem APPD-Verfahren schichtweise direkt in die Stahlstruktur abzuscheiden, und somit die Integration von elektrischen Funktionen in DED-Arc-gefertigte Strukturen. Dabei wurden wichtige Erkenntnisse über Design- und Fertigungsverfahren gewonnen. textbild-1-multi-fun

    Zuletzt wurden an der gesamten Struktur unter anderem Drei-Punkt-Biegeversuche durchgeführt, die vergleichsweise duktiles Verhalten zeigten, was zu einer höheren Energieabsorption bei einem Unfall führt. Die strukturelle Steifigkeit und Festigkeit liegen in einem Bereich, der mit dem konventionellen Verhalten von A-Säulen aus Stahlblechen vergleichbar ist. 

    Motorradlenker ohne externe Leitungen 

    Als zweiten Demonstrator entwickelte EDAG gemeinsam mit dem LKR des AIT einen Motorradlenker, in dem alle externen elektrischen Kabel und die Hydraulikleitungen durch strukturintegrierte Lösungen ersetzt sind. Die erforschte Fertigungsstrategie umfasste einen schrittweisen Ansatz. Als Aluminiumlegierung für die mechanische Struktur des Lenkers wurde AIMg0,7Si TiB gewählt, da diese den in der konventionellen Lenkerfertigung verwendeten Standard-AIMgSi-Legierungen ähnelt und als Drahtelektrode verfügbar ist. textbild-2-multi-fun

    Mit dem DED-Arc-Verfahren wird zunächst ein erstes, hohles Teil in halber Breite des Lenkers erzeugt (1). Der im Wesentlichen dreieckige Querschnitt wurde gewählt, um Masse zu sparen und eine Grundlage für die Anwendung des APPD-Verfahrens für die Herstellung isolierter Leiterbahnen zu schaffen. Mit einigen technischen Innovationen konnten die Entwickler eine U-förmige Geometrie (2) in engeren geometrischen Toleranzen realisieren, als sie DED-Arc üblicherweise bietet. Zudem konnten Verfahren gefunden werden, um die bei verschiedenen Schritten anfallende überschüssige Wärmeenergie abzuführen. 

    Die Herstellung isolierter Leiterbahnen (3) beginnt mit einer schichtweisen APPD-basierten Abscheidung mehrerer einzelner Schichten aus Aluminiumoxidpulver, auf die reines Kupfer ebenfalls aus Pulversubstrat aufgetragen wird. Durch Variation der Masken, die die Bereiche abdeckten, auf denen kein leitfähiges Material abgeschieden werden sollte, wurde ein Neunschichtansatz realisiert, was wiederum ein wichtiges Forschungsergebnis der Zusammenarbeit im EU-finanzierten MULTI-FUN-Projekt ist. Das Einhüllen der Leiterbahnen und die Vervollständigung des Lenkers erfolgt ebenfalls wieder mittels DED-Arc (4). 

    Die zweite zu integrierende Funktionalität – die Übertragung des hydraulischen Drucks – wurde durch Fräsen mit speziellen Schafttypen hergestellt. Die Öffnung des Werkzeugschafts wird anschließend durch Drahtschweißen dicht verschlossen. Auch das Mittelteil, die Lenkerklemmen sowie die Anschlüsse an die Bedienelemente werden auf dieselbe hybride Weise durch schichtweises Auftragen von Vollmaterial und abschließende subtraktive Bearbeitung hergestellt. Für die Verbindungen zwischen den äußeren Abschnitten des Lenkers und den aus Standardrohren gefertigten Teilen sowie für die Endmontage am Mittelteil wurde Kleben gewählt. 

    Auch hier erfolgten abschließende finale Material- und Funktionsuntersuchungen, beispielsweise mittels Synchrotron-Tests. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass die spröden Aluminiumoxidisolatoren die Leiterbahnen durchgängig voneinander und vom Grundmaterial trennen. Sie erfüllen ihre Aufgabe sogar noch dann, wenn sie nach einem Langzeit-Ermüdungstest Haarrisse aufweisen. 

    Fazit 

    Mit den beiden Demonstratoren konnten EDAG, LORTEK und LKR zum EU-Forschungsprojekt MULTI-FUN wichtige Erkenntnisse beisteuern, sowohl beim Design von Bauteilen als auch zur Additiven Fertigung. Das Ergebnis sind realisierbare Konstruktionen in kurzen Bearbeitungszeiträumen. Die Druckzeit für die A-Säule beträgt beispielsweise etwa 10 h, wobei die Möglichkeit besteht, den Prozess zu automatisieren, um ihn weiter zu industrialisieren. Am Motorradlenker konnte die Integration von fünf reinen, teilweise gestapelten Kupferleitern und Al2O3-Keramik als Isolationsmaterial unter Verwendung des APPD-Verfahrens in eine DED-Arc gefertigte Struktur aus einer 6063-Aluminiumlegierung gezeigt werden. Das Projekt MULTI-FUN wurde von der Europäischen Union im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 mit der Grant Agreement Nr. 862617 gefördert. 

    Wenn auch Sie sich für die Nutzung additiver Fertigungsverfahren im Fahrzeugbau interessieren, sprechen Sie mit unserem Experten M.Sc. Richard Kordaß. Er ist Leiter des Innovationsbereichs Digitalisierung bei EDAG Engineering und leitet im Unternehmen auch das Projekt MULTI-FUN. Weitere Details zu den beiden Demonstratoren, Erkenntnissen zu Designfragen und den Herstellungsverfahren finden Sie zudem in unserem Whitepaper „Multi-Funktionalität mit Multi-Material-Bauteilen“, das Sie gleich hier herunterladen können. Whitepaper Multi-Fun

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