Allein bei sechs älteren Waffengattungen der Bundeswehr ist nicht einmal die Hälfte des vorhandenen Materials einsatzfähig. Eine der häufigsten Ursachen: Fehlende Ersatzteile, sogenannte Obsoletteile. Was lange Jahre ignoriert wurde, weil man sich in einer Welt ohne direkte Bedrohungen wähnte, fällt den Streitkräften nun auf die Füße – und schadet dem ganzen Land.
„Si vis pacem para bellum“, so lautet ein angebliches lateinisches Sprichwort, zu deutsch: „Wer den Frieden will, rüste sich für den Krieg“. Gemeint ist damit das Prinzip der Abschreckung, und zumindest das findet sich – anders als der eingangs zitierte Wortlaut – tatsächlich schon in römischen und sogar griechischen Schriften.
Auch heute gilt eine glaubhafte Abschreckung – wieder – als wichtiges Element zur Friedenssicherung. Wobei „glaubhaft“ eine wesentliche Bedingung für das Funktionieren ist. Ob die deutsche Bundeswehr diesem Anspruch gerecht wird, wurde schon in den frühen 60er-Jahren in Zweifel gezogen, als der Spiegel mit der Schlagzeile „Bedingt abwehrbereit“ den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß erzürnte. Und noch vor wenigen Jahren machte die Truppe selbst ihre Defizite öffentlich: die durchschnittliche Einsatzbereitschaft der 71 Hauptwaffensysteme der Bundeswehr lag Anfang 2021 bei einer Quote von 77 Prozent, bei 11 sogar unter 50 Prozent.
Desolate Lage weckt Gefahren
Mehr als die Hälfte der am wenigsten einsatzbereiten Waffengattungen gelten als Altsysteme. Als Beispiel nennt der „Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft“ verschiedene Serien von mittleren Transporthubschraubern, bei denen nur noch eine Einsatzbereitschaft von 40 Prozent ermittelt wurde. Der operative Flugbetrieb sei nur noch mit hohem Aufwand und unter großen Anstrengungen aufrecht zu erhalten, so die Analyse des Verteidigungsministeriums. Neben der altersbedingten Störanfälligkeit nennt sie eine „stellenweise schwierige Ersatzteillage“ als einen wesentlichen Grund für die Missstände. Ähnliches gilt beispielsweise auch für Panzer unterschiedlicher Klassen oder Artilleriegeschütze.
Die Folgen sind fatal. Zum einen binden solche Systeme hohe Personalressourcen und Geldmittel für Wartung und Instandhaltung, die dann an anderer Stelle fehlen. In Friedenszeiten leidet zudem die Möglichkeit, neues Personal vernünftig auszubilden, wenn die Panzerhaubitze nicht vom Hof fahren kann und der Hubschrauber am Boden bleiben muss. Dies wiederum macht es schwierig, Bewerber zu finden und zu halten.
Des Weiteren leidet die Verteidigungsfähigkeit, wenn der Hubschrauber keine Truppen und Gerät in den Einsatz bringen kann oder Lücken in einer Streitmacht auftreten, die auf vernetzte Verbände setzt – die aber nur dann wirkungsvoll agieren können, wenn ihnen das benötigte Material zur Verfügung steht. Und nicht zuletzt schwächt dies alles das Abschreckungspotenzial. Gerade in der aktuellen Weltlage, in der es Kräfte gibt, die auf das „Recht des Stärkeren“ setzen, können wir uns das am wenigsten leisten – und müssen daher nach Lösungen suchen, nicht nur die Truppenstärke, sondern auch die Einsatzbereitschaft wieder hochzufahren.
Bisherige Strategien nicht mehr tragbar
Regelmäßig werden Bauteile oder Baugruppen abgekündigt, also vom Hersteller als „obsolet“ erklärt, was bedeutet, dass diese in absehbarer Zeit nicht mehr produziert werden. Für die Streitkräfte ist dies ein ständiges Problem. Denn Waffensysteme haben Lebenszyklen von teils mehreren Jahrzehnten, während die Verfügbarkeit von Komponenten und Baugruppen oft kaum mehr als zehn Jahre beträgt. Ein Weg, diesem Dilemma zu entkommen, ist es, die Systeme umzubauen bzw. umzurüsten, um sie mit neuen, noch länger verfügbaren Teilen kompatibel zu machen.
Doch dies ist ein teurer und zeitraubender Prozess, der beispielsweise dazu führte, dass ein Kapitän der Marine seine knapp zweijährige Dienstzeit auf einer Fregatte mit „Null Seemeilen“ beendete – das Schiff lag die ganze Zeit im Trockendock. Das heißt auch: kein Training auf See für die Mannschaften.
Eine zweite, ebenso teure Strategie war es, Teile bei Abkündigung noch mal in Massen zu bestellen, um dann von den Lagerbeständen zehren zu können – bis das Gerät ausgemustert und durch ein Nachfolgesystem ersetzt wird. Doch auch in der Neuanschaffung läuft nicht alles rund, so dass die geplante Lebensdauer von Altsystemen oft um viele Jahre überschritten wird. Kaschiert wurde das Problem lange Zeit durch den anhaltenden Truppenabbau – so dass weniger Gerät benötigt wurde und überzählige Bestände ausgeschlachtet werden konnten.
Nun sind die Lager leer – sowohl bei den Ersatzteilen als auch beim Gerät. Gleichzeitig soll die Truppe wieder wachsen und kann es sich nicht leisten, jahrelang darauf zu warten, dass Panzer, Schiffe und Transportfahrzeuge wieder instandgesetzt werden. Die Erkenntnis, dass in Europa wieder Kriege möglich sind, bedeutet darüber hinaus, dass man einen Versorgungsprozess etablieren muss, der sogar im Ernstfall die Verfügbarkeit von Ersatzteilen sicherstellt.
Herausforderung Defence Supply Chain
Dementsprechend muss eine tragfähige Strategie zur Verfügbarkeit von Obsoletteilen viel breiter gefasst sein als nur die Frage, wo sie alternativ zu beschaffen sind, wenn der ursprüngliche Hersteller nicht mehr liefert. Zum einen bedarf es eines Frühwarnsystems, so dass rechtzeitig mit der Sicherung der Verfügbarkeit begonnen werden kann. Unerlässlich ist beispielsweise aber auch eine Risiko-Analyse der Lieferketten im Konfliktfall.
Findet sich keine zuverlässige Quelle, müssen alternative Wege gefunden werden, etwa Entwicklung von alternativen Komponenten oder die Produktion in Kleinserie durch einen Dienstleister. Gibt es keine digitalen Produktinformationen, müssen die fehlenden Daten zunächst per Reverse Engineering erhoben werden.
Die Industrie setzt bereits auf solche Verfahren, um beispielsweise den Lebenszyklus von Maschinen zu verlängern. Hier gibt es bewährte Prozesse mit akzeptablem Zeitaufwand. Anders sieht es dagegen im militärischen Sektor aus: spezielle Anforderungen an die Produkte, eigene Normen auch für den Produktionsprozess und aufwändige Abstimmungs- und Genehmigungsprozesse zwischen politischen und militärischen Akteuren mit den beteiligten Dienstleistern sorgen für außergewöhnliche Projektlaufzeiten. Sprich: Ad-hoc-Reaktionen auf plötzlich auftretende Mangelsituationen sind unter diesen Voraussetzungen praktisch unmöglich.
Lösung aus einer Hand
Wesentliche Effizienzvorteile verschafft ein Partner, der alle nötigen Skills zu Technik und Produktion aus einer Hand bietet und damit Kommunikations- und Abstimmungsprozesse auf ein Minimum reduziert. Dazu müssen aber auch weitere Voraussetzungen erfüllt sein, wie etwa die Einhaltung von militärischen Standards und Normen.
Ein solcher Partner, der auch für Kunden im Verteidigungssektor die Verfügbarkeit von Obsoletteilen zuverlässig sicherstellen kann, ist EDAG Defence. Die Abteilung beherrscht sämtliche Schritte des Prozesses, vom Engineering über die Validierung bis hin zur Fertigung und der Logistik, aber auch Aufgaben wie Markt- und Lieferketten-Analyse, die strategische Planung und die Digitalisierung der Supply Chain oder die komplette Projektsteuerung. Aus dieser Erfahrung heraus hat EDAG einen Musterprozess für eine komplette Defence Supply Chain aufgesetzt:
Zertifizierungen gemäß Normen der ISO-9100-Reihe und die Einhaltung militärischer Qualitätsstandards, wie den Normen MIL-STD des US-Militärs, die häufig auch NATO-Projekten zugrunde liegen, oder von AQAP (Allied Quality Assurance Publications) runden das Bild ab.
Sind auch Sie auf der Suche nach einer zuverlässigen Quelle für Obsoletteile? Interessieren Sie sich dafür, wie der Aufwand reduziert und die Beschaffung beschleunigt werden kann? Dann sprechen Sie mit unserem Defence-Experten Dietmar Bayerlein, Projektmanager Integration & Validation bei EDAG Engineering. Oder laden Sie sich gleich hier unser Whitepaper „Obsoletteile – damit der Panzer fährt, die Fregatte schwimmt und der Hubschrauber fliegt“ herunter. Darin erfahren Sie, wie Sie den Beschaffungsprozess strategisch planen können und welche kritischen Aspekte dabei zu beachten sind.